Wunderschöne Welt

Das hört sich zwar auf den ersten Blick so an, als würde ich realitätsfremd sein, ist aber auf den zweiten Blick ganz anders gemeint. In meinem Leben gab und gibt es schon immer eine reale und eine Traumwelt. Traumtänzer zu sein hat für mich nicht mit flüchten vor der Wirklichkeit zu tun, sondern vor allem sehr viel mit Beobachten der Natur, mit Zuhören schöner Klänge und mit intensiven Wahrnehmen von Stimmungen, woraus sich dann Träume ergeben. Vielleicht sehe ich die schönen Dinge des Lebens einfach nur deshalb so impulsiv, weil ich jedes Prozent meines Sehrestes genieße und auskoste. Wenn es nach der Prognose mancher Augenärzte ginge, wäre ich nämlich heute bereits blind. Gerade deshalb schätze ich mein Noch-Sehen-Können so sehr und versuche trotz meiner Augenkrankheit Glaukom positiv zu denken und diesen Sinn als etwas einmaliges zu betrachten und dankbar zu sein.
Um Ihnen rüberbringen zu können, wie schön meine Reise in die Tagträume ist, gehen sie einfach die nächsten Minuten mit mir spazieren.

Der Herbst mit seiner bunten Blätterpracht ist für mich eine der schönsten Jahreszeiten. Die Farbnuancen gehen von gelb über ocker bis hin zu orange und rot. Je nach Sonneneinstrahlung schillern die Blätter direkt golden, kupfer- und bronzefarben, wodurch sie einen wunderschönen Glanz bekommen und nahezu leuchten. Wenn die Sonne jetzt täglich tiefer ihre Halbkreise zieht und immer kürzer scheint, beginnt allmählich wieder die Zeit des eindrucksvollen Abendrots, das auch durch die Formation der Wolken entsteht. Der Himmel beginnt regelrecht zu brennen, verschieden helle und große Flammen züngeln ins türkise Firmament. Anfangs sind sie ganz hellgelb, später werden sie blutrot und gegen Schluss hin dunkelviolett. So ein überwältigender Anblick löst bei mir ein Gänsehautgefühl aus, ich steh am Fenster und schwebe in Gedanken über die Stadt hinaus in die herrliche Landschaft. Von oben sieht Alles noch viel näher aus, als wär man ein Teil des Naturschauspiels.

Für manchen klingt dieses Erleben vielleicht übertrieben und er denkt: Was soll denn daran so toll sein? Herbst ist eh alle Jahre, also nichts Besonderes. Ich brauche keine Phänomene, Katastrophen oder spektakuläre Kicks, für mich hat der normale Alltag genug zu bieten, worüber ich mich so sehr freuen kann.

An nebelgrauen Tagen ist die Stimmung in mir behaglich. Ich mache mir in der Wohnung viel Licht, denn Helligkeit inspiriert mich voll Elan zu sein, heize mir warm ein und finds einfach schön, wenn sich das undurchdringliche Grau wie ein dichter Vorhang über die Stadt legt. Genau so sieht es aus, wenn man in dieser Jahreszeit von der Landebahn abhebt. Man sieht nichts außer diesem dunklen Weiß. Irgendwie unheimlich, als würde man im Nichts sein, bekommt keine Luft in der Luft und trotzdem eine romantische kribbelige Stimmung.

Schneit es dichte Flocken, wird’s weihnachtlich in mir. Die Stadt hört sich an wie unter einem Glasdeckel, dumpf und leise. Es riecht nach frischer Luft und ich hab das Gefühl, der Körper wird ordentlich mit Sauerstoff versorgt. Entfernt höre ich das Grollen der Schneepflüge und vor jeder Haustür wird fleißig geschaufelt. Beleuchtete Straßen und Fensterbogen hinter den Scheiben wohin man schaut. Der Duft nach Keksen und Glühwein, glänzende Kugeln und singende Kinder, lösen ein Gefühl der Harmonie und Frieden in mir aus. Ich zünde mir viele Kerzen an, lasse Duftöle durch die Wohnung ziehen und kuschle mich in meine flauschige Decke. Da sitz ich dann im Schaukelstuhl und bin einfach nur glücklich, dass es in meiner kleinen Welt keinen Streit gibt und alle gesund sind.

Im Frühling warte ich schon sehnsüchtig auf die ersten Gänseblümchen und Forsitien. Sehe ich dann auch nur ein Blatt, höre die ersten Vögel zwitschern und den Specht sein Nest klopfen, löst das in mir ein wahres Glückgefühl aus. Die Natur erwacht aus ihrem langen Winterschlaf, der Himmel strahlt in tiefem Blau und ich setze mich in Gedanken unter einen Baum ins frische Gras. Es riecht nach beginnendem Leben, nach frischer Erde, nach wärmerer Luft. Die Piepmätze scheinen sich richtig zu begrüßen und die Krokusse streiten sich mit den Gänseblümchen und Löwenzähnen um einen Stehplatz, bevor die Bäume durch ihr sich entfaltendes Blätterdach schattige Dunkelheit verbreiten. Ein lustiges Schauspiel, das die ersten wärmenden Sonnenstrahlen da zaubern.

Dann wird es Abend, es ist Vollmond. Im Flachland geht er als große dunkelgelbe Scheibe am Horizont auf, während sich die orangerote Sonne durch die abenddämmrige Luft auf der gegenüberliegende Seite verabschiedet. In meinen Träumen klettere ich auf den höchsten Baum, um ja durch kein Hindernis an der schönen Aussicht gestört zu werden. Erste Sterne werden durch die eintretende Dunkelheit sichtbar und die große Kugel wird zu einem richtigen Silbermond. Jetzt gehe ich auf einer Wasseroberfläche spazieren, die kleinen Wellen durchbrechen das matte und trotzdem helle Mondlicht und plätschern ganz leise. Ich sehe durch den Nachtspot am dadurch nie ganz dunkel werdenden Himmel alles um mich, höre nachtaktive Grillen zirpen, Frösche quaken und rieche die Feuchtigkeit des Waldes. Die volle weiße Scheibe begleitet mich durch die schöne stille Nacht.

Und ist es Sommer, riecht es abends nach Gegrilltem. Gehe ich laufen, duftet es nach Korn auf den Feldern und Mohn. Mähdrescher ziehen ihre Bahnen und Heu wird aufgeladen, der Duft ist einmalig. Weil man sich so luftig anziehen kann, bekomme ich ein Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit. Ich sitze am Balkon, lasse mir ein kühles Bierchen gut schmecken und genieße das Stimmengewirr der Leute in den umliegenden Gärten. Erst gegen Mitternacht verstummt es allmählich, die Nacht hüllt nur für kurze Zeit ihren schützenden Mantel über die Stadt. Bereits um halb fünf höre ich den Zeitungsausträger, Straßenkehrer sorgen brav für eine saubere Umgebung - es ist einfach schön so früh am Morgen am Fenster zu stehen und den beginnenden Alltag auf sich wirken zu lassen.

Ein Gewitter bahnt sich an, es wird rasch unheimlich dunkel, die Wolken nehmen bizarre Gestalten an. Die Luft beginnt explosiv zu riechen und wirkt geladen. Erste zuckende Blitze haben verschiedene Farben und zackige Formen. Die Atmosphäre wirkt schwer, es riecht nach Regen. Die Donner hören sich viel erschreckender an als ein Blitz an Angst auslösen kann. Jetzt möchte ich nicht über der Stadt schweben oder fliegen können, ich verkrümle mich sicherheitshalber hinter dem Fenster. Wenn die Blitze greller und heftiger werden, erwacht mein Jagdinstinkt, ich nehme nämlich jedes Gewitter auf. Die mächtigsten und erschreckendsten Donnerschläge gehören inzwischen zu meiner zahlreichen Sammlung an Naturgewalten. Ungewöhnlich, aber sehr beeindruckend.

Von manchen werde ich wohl belächelt, doch ich stehe zu meinen Träumen, koste sie voll aus. Es gibt so wenig Möglichkeiten im Leben so sein zu dürfen – zu können - wie man gerne möchte. Anstand, etliche Regeln und Anerzogenheit prägen uns zur Beherrschung und zur Kontrolle der Gefühle. Sprüche wie:
"Nur die Harten kommen durch",
"ein Indianer kennt keinen Schmerz",
"Mann weint nicht",
"nimm dich zusammen",
"sowas gehört sich nicht",
etc. prägen unser Ich und die Liste ließe sich noch sehr lang fortsetzen. Ich habe gelernt, Wirklichkeit und Traumwelt zu trennen und sie trotzdem in Lebensbereichen ineinander verfließen zu lassen. So verbinde ich Verstand und Gefühl miteinander. Der Preis dafür ist, dass mir Traurigkeit und Schmerz viel näher gehen als anderen Menschen und in solchen Situationen ertappe ich mich auch manchmal dabei, dass ich mir wünsche, so zu sein wie die große Masse. Ein bisschen oberflächlicher, die Dinge als gegeben hinzunehmen und einfach geschehen lassen ohne groß darüber nachdenken zu müssen.

Doch dann wieder weiß ich genau, ich möchte mit Niemandem tauschen, möchte so bleiben wie ich bin. Ich liebe meine Träume und lasse Phantasie und Gefühl einfach zu.

Vorigen Sommer ging ich entlang der Donau spazieren und setzte mich auf eine große Boje - auf die man hinausgehen kann - um den Sonnenuntergang in Freiheit und Frieden genießen zu können. Mein Blick fiel auf den erst kürzlichen erbauten Milleniumtower. Er ragt in dieser Gegend, die sich Kaisermühlen nennt, als das höchste Bauwerk heraus. Das rötliche Sonnenlicht spiegelte sich im Wasser und färbte auch den Himmel in den selben wunderschönen Farben, ich hatte zum Glück den Fotoapparat bei mir.


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Letztes Update 12. Juni 2001
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