Totale Sonnenfinsternis vom 11. August 1999

Bereits Wochen zuvor hörte man in den Medien von nichts anderem mehr, als von der bevorstehenden totalen Sonnenfinsternis. Wo mich sonst ständig wiederholte Beiträge oft nerven, konnte ich von diesem baldigen Ereignis nicht genug in Erfahrung bringen. Wie so viele andere Menschen hatte auch mich das Sonnenfinsternisfieber gepackt. Lange vorher kaufte ich drei eigens dafür angefertigte Schutzbrillen und ein Buch über die Entstehung eines derartigen Naturschauspiels. Lachen musste ich allerdings, wenn ich im Radio die Antworten mancher Leute hörte, wie es denn zu dieser Finsternis kommen würde. "Die Erde schiebt sich zwischen Sonne und Mond; der Mond fällt in die Sonne; der Mond nimmt eine überdurchschnittliche Größe an" und und und. Mein Günther, sein Bruder Willy und ich planten das exakte Reiseziel und die genaue Fahrtroute, um auch die Korona sehen zu können. Wir wollten wegen des prognostizierten Verkehrschaos drei Stunden für die 150 km früher losfahren und uns reichlich mit Proviant und Aufnahmegeräten eindecken. Weil ich ein Traumtänzer bin, konnte ich die vorherige Nacht kaum schlafen, denn ich freute mich sehr auf den so wunderbaren Tag, bzw. die zwei Minuten, die die Sonne völlig verdeckt sein sollte.

Der Stau ließ uns kalt – obwohl es draußen an die 25° hatte. Auch die Hitze machte uns nichts aus, wir waren ja reichlich mit Trinkbarem versorgt. Eine Stunde zuvor erreichten wir unser Ziel und suchten uns in der Nähe eines Feldes Abgeschiedenheit und Ruhe. Gemütlich saßen wir bei offenen Türen im Auto und genossen eine üppige Jause, während wir unsere Geräte startklar machten. Weil bis zum Eintreten des Mondes noch Zeit war, ging ich ein wenig spazieren, entfernte mich in der Fremde jedoch nicht weit vom Auto. Ich kam an ein Bauernhaus und sah, dass die Rollläden heruntergelassen waren. Ein kleiner Bach plätscherte und ich verharrte eine Weile, um diese friedliche und zugleich aufregende Stimmung auf mich wirken zu lassen. Da hörte ich eine erregte Frauenstimme. "Haben wir auch alle Vorräte in den Keller geschafft und hast du Decken und Licht auch dorthin gebracht?" Eine ebenso laute Männerstimme entgegnete: "Jaja, nun beeil Dich aber, es ist gleich soweit, ich hole jetzt den Hund herein." Da ging die Eingangstür auf, der Mann sah mich irritiert an, drehte sich rasch um und rief ins Haus hinein. "Mein Gott, haben denn die Leute keine Ahnung was passieren wird? Stehen da draußen, wo doch in Kürze die Welt untergeht." Ich glaubte anfangs nicht recht zu hören, doch der Mann meinte bitterernst was er da sagte und er war sicherlich nicht der Einzige. Zu viele Scharlatane prophezeiten tatsächlich Horrorszenarien, die diese Finsternis auslösen würde. Ergriffen ging ich wieder zu den Männern zurück, das Ehepaar tat mir leid.

Da zeigte Willy zum Himmel "Es geht los!" Es sah aus, als würde die Sonne von links nach rechts angeknabbert werden. Wie empfohlen setzten wir unsere Schutzbrillen auf. Wohl durch meine Sehbehinderung kam es mir sehr dunkel durch die Plastikfolie vor, darum beschloss ich, nicht zu oft in die Sonne zu schauen. Ich sah ja doch nicht viel und ohne Schutz war es für die Netzhaut zu gefährlich. Im Laufe der nächsten Minuten änderte sich Alles rundum. Es wurde zusehends dunkler und manchmal bekam die Umgebung direkt einen Violettton. Die letzten Wolkenreste verzogen sich, als hätten sie Respekt, und waren lediglich in einem weiten Umkreis um die Sonne zu sehen. Allmählich verstummten die Vögel, es wurde merklich kühler und trotz der Ruhe um uns noch stiller. Es roch nach feuchter Erde und nassem Gras. Die Stimmung in mir schwankte zwischen Aufregung und Nervosität. Manchmal wurde mir direkt unheimlich zumute, weil Alles so anders war. Mitten am Tag wurde es fortschreitend dunkler. Es sah so eigenartig aus, vorhin noch die grelle heiße Sonne, die jetzt zügig verschwand. Wir sprachen kaum, jeder war von dem Ereignis berührt und mit seinen Eindrücken beschäftigt. Schließlich war nur noch eine schmale Sichel zu sehen. Es war nun empfindlich kühler geworden, ich zog mir eine Jacke über. Als ich den Fotoapparat herrichten wollte, konnte ich das Display nicht mehr lesen, so dunkel war es geworden und gespenstisch still. Leichte Angst kroch in mir hoch, da auf einmal sahen wir sie, die Korona. Es war stockdunkel um uns wie mitten in der Nacht. Rund um den Mond leuchteten die Protuberanzen wie ein flimmernder Heiligenschein.

Foto der Korona

Alle Angst, Nervosität und Unsicherheit waren gewichen. Wir knipsten in einem fort, die Videokamera nahm genauso zuverlässig auf wie der Minidiscrekorder. Als ich meinen Blick nach vorne senkte, sah ich am Horizont ein wunderschönes Abendrot, das die schönsten Farben von violett, türkis und dämmerblau vereinte. Dieser Anblick sah so anmutig, so wunderschön und einzigartig aus.

Foto der dunklen Landschaft

Die Korona glitzerte, die unregelmäßigen Strahlen bewegten sich immerzu. Dieses Naturschauspiel verlangte mir Ehrfurcht ab, es war so eindrucksvoll, dass mir direkt die Tränen kamen. Eine solche Stille, die Natur so farbenprächtig – da, in dem Augenblick sahen wir den Diamantring. Die Sonne wurde wie ein Diamantstein auf einem Ring wieder sichtbar. In unserer Faszination vergaßen wir für ein paar Augenblicke die Schutzbrille. Dann war alles vorbei, der Mond wich auf der rechten Seite wieder ab. Wir verharrten noch eine Weile schweigend, hörten auf einmal mehrere Flugzeuge, einen laut bellenden Hund. Aha, da waren wieder die zwitschernden Vögel, die vorhin verstummten. Auch Autos fuhren in einiger Entfernung, der Bach plätscherte... Es kam mir auf einmal so überdurchschnittlich laut vor, direkt nervig. Wir warteten noch eine Stunde ab und traten dann geprägt von dem Ereignis die Heimreise an. Den ganzen Abend zeichnete ich Berichterstattungen auf, wir sahen uns unsere Aufnahmen an und sprachen ausschließlich von der wahrscheinlich einzigen phänomenalen totalen Sonnenfinsternis, die wir je zu sehen bekommen würden.


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Letztes Update 16. Juni 2001
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