Geschrieben habe ich immer schon gern, manchmal monatelang an einem Buch und das auf der guten alten Schreibmaschine. Ich freute mich riesig, als der Computer für den Otto-Normalverbraucher erschwinglich wurde, denn nun konnte ich im Word drauflostippen und kinderleicht ausbessern. So entstand im Laufe von Jahren ein Buch ums andere.
Jahre später entdeckte ich das mailen und nach und nach hatten immer mehr meiner Freunde einen Rechner entweder im Büro oder Zuhause. Wir kommunizierten öfter via Computer, man lernte andere Menschen kennen oder fand alte Bekannte im Netz wieder. Man kann so schön und gründlich überlegen, was man wie schreibt, damit es auch richtig rüberkommt und kann sich die Zeit nehmen, die man dafür braucht. Beim miteinander Sprechen fehlen mir – je nach Thema – auch ab und an noch heute die richtigen Worte, auch wenn ich diesbezüglich schon viel dazu gelernt habe, mich ordentlich auszudrücken und zu sagen, was ich meine.
Wieder einige Zeit später packte mich das Homepagefieber, ich erstellte meine eigene Website. Zuerst steckte sie noch in den Kinderschuhen, aber mit der Zeit wurden mir HTML und CSS Begriffe und so finde ich, können sich meine Seiten sehen lassen. Seit einiger Zeit bin ich auch in verschiedenen Mailinglisten und so lernte ich Marco kennen. Er stellte sich in einer der Listen vor und erzählte von seiner Homepage. Er meinte neben den Infos zum Thema Schwerbehindertenausweis, er hätte auch Fotos von seiner Klassenfahrt nach Bozen und London, ebenso Feuerwehrbilder. Mich faszinierte damals, dass noch ein anderer Sehbehinderter eine eigene Website hatte und noch dazu war er in einer seiner Ferien genau dort, wo meine Großmutter väterlicherseits ihren Lebensabend verbrachte. Mir gefielen sein Schreibstil, wie seine Fotos, und ich war beeindruckt, dass auch er auf sauberen Quelltext Wert legte. So schrieb ich in sein Gästebuch und bekam prompt Antwort. Daraus entwickelte sich ganz langsam aber stetig ein Mailkontakt, der sich im Laufe der Monate intensivierte. Mir imponierte von Anfang an seine lockere umgängliche Art. Da waren nie zweideutige Anspielungen oder eindeutige Äußerungen. Man erlebt nämlich wirklich viel bei diversen Mailkontakten. Manche kennen keine Hemmungen und nutzen die Anonymität schamlos aus, um ihren Phantasien freien Lauf zu lassen oder um einfach nur anzubaggern.
Nicht so Marco, wir erzählten uns von unserem Leben und ich erfuhr, dass er ein 18-jähriger Schüler im Berufskolleg für Blinde und Sehbehinderte in Soest war.
In der Zeit lernte ich diverse Chatprogramme kennen, die auch Marco und ich nutzten. Mit einer Kopfhörergarnitur lässt es sich sogar kostenlos telefonieren, auch dieses tolle Angebot nahmen wir gern an, auch wenn wir öfters - wegen unseren Dialekten - Verständigungsschwierigkeiten hatten *lächel*.
Bereits zu Weihnachten wünschte er sich Geld für eine Reise nach Wien, was mich ein wenig wunderte. Er erklärte es damit, dass er mich kennen lernen und meine Stadt besichtigen wollte. Als er im Mai konkrete Pläne schmiedete wusste ich, er meinte es ernst mit der Fahrt hierher. Günther und ich besprachen, dass er bei uns übernachten könne, denn er investierte schon „Taschengeld“ genug.
Am 24. August 2001 war es dann soweit, ich holte Marco vom Zug ab. Wir wussten von Fotos, wie wir aussahen und hatten uns beschrieben, was wir anziehen würden, auch der Treffpunkt bei der Lok war vereinbart. Irgendwie war ich aufgeregt und nervös zugleich. Würden wir uns verstehen, immerhin war er eine Woche bei uns. Einige, die von seiner Ankunft wussten setzten mir den Floh ins Ohr, dass es zwischen Mann und Frau keine Freudschaft geben könne, einer würde sich womöglich in den anderen verlieben oder ihn attraktiv finden. Darüber machte ich mir auch Gedanken, da sah ich Jemanden auf mich zukommen, der nur er sein konnte und schon bei der Begrüßung wusste ich, es passt zwischen uns. Er war genauso unkompliziert, locker und umgänglich wie in Mails oder Chats.
Mit ihm lernte ich meine Stadt Wien einmal aus einer ganz anderen Sicht kennen, nämlich aus der der Touristen. Im Prater kommen jedes Jahr neue noch wildere Geräte hinzu. Bungee Jumping ist in, genauso wie in die Höhe geschnellt zu werden oder in einer Art Zentrifuge der Fliehkraft ausgesetzt zu sein. Ein Kick jagt den nächsten und der Euro ist dort im wahrsten Sinne des Wortes ein Teuro. So fuhren wir nur mit einer Art Wasserrutsche und natürlich dem Riesenrad.
Die Stadt aus verschiedenen Höhen zu betrachten ist beeindruckend und Marco kam auch zufällig zu einer Feuerwehrdemonstration mit vielen Autos und Übungen zurecht. Bereits an diesem Tag verknipste er etliche Fotos und war begeistert.
Der nächste Tag führte uns an die Coppa Kagrana zur Donau. Wir waren einigermaßen erschüttert über das Ausmaß, welches das Hochwasser angerichtet hatte. Er bewunderte die UNO City und den Donauturm, auf den wir dann hinauffuhren. Bei herrlichem Wetter genossen wir einen wunderschönen Ausblick im drehbaren Restaurant, was uns beide faszinierte.
Die Tage darauf bummelten wir durch die Kärntner Straße, wo wir neben dem Stephansdom auch ein Modell davon begutachteten, das für blinde Menschen gedacht ist. Es stehen Infos über den Dom sowohl in Braille- als auch in Schwarzschrift, wir fanden diese Idee genial. Die Mariahilferstraße bot noch einiges bezüglich Sommerschlussverkauf und im technischen Museum erfreuten wir uns an den Zügen aus verschiedenen Zeitepochen wie auch an den Postkutschen und vielen anderen Objekten.
Auch in meinem Schießsport versuchte er sich. Doch ist man nicht geübt, ist es gar nicht so einfach, den höchsten Ton herauszuhören und dann noch im richtigen Moment den Abzug zu betätigen. Doch er gewann Einblick in mein Hobby und es machte ihm - überhaupt uns beiden - Spaß.
Schloss Schönbrunn mit seiner Gloriette war krönender Abschluss unserer Wientour und wir hatten total viel Spaß, als wir uns im großflächigen Waldgelände verliefen. Der lange Fußmarsch hielt uns trotzdem nicht davon ab, noch am selben Tag einen Nachtspaziergang zu unternehmen.
Wir redeten über Gott und die Welt, über den Alltag eines jeden und was wir uns für die Zukunft – speziell er nach der Schule – vorstellen. Der Mond schien sichelförmig, die Grillen zirpten und die Gelsen freuten sich über ein Festmahl. Was wir am nächsten Morgen bei Begutachtung unserer Dippel gelacht haben, auch weil er den Ausdruck Gelsen nicht kennt sondern Mücken sacht.
Die Woche war voll Aktivitäten, am Abend quatschten wir zu Dritt. Wir haben uns einfach toll verstanden, als wäre Marco ein guter Freund, den wir schon lange kennen. Die Zeit verging zu schnell und darum beschloss ich, nächstes Jahr eine Deutschlandreise zu unternehmen, wo ich natürlich Marco besuche.
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Letztes Update 05. September 2001
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