34. Lions-Blindenwanderung ins Lechtal im Außerfern - Tirol

Am 26.06.2011 ist der Organisator der Blindenwanderung und Freund aller Wanderer Dr Reinhold Wolf verstorben. In seinem Sinne und seinem Gedenken führte heuer die "Reinhold Wolf Gedenkwanderung" in seine Heimat nach Außerfern ins Lechtal.

• Donnerstag, 17. Mai 2012
Meine Freundin Andrea, ein guter Bekannter und ich fuhren mit dem Railjet um 06.14 von Wien ab und kamen um 11.00 Uhr in Innsbruck an. Weil vororganisiert holten uns Mitarbeiter der ÖBB am Bahnsteig ab und geleiteten uns ins Cafe-Restaurant Insieme, das sich schräg gegenüber des Bahnhofes befindet. Dort trafen nach und nach viele Wanderer mit ihren Begleitpersonen ein.

Um 12 Uhr fuhren wir mit dem Bus nach Reutte. Werner Ammann und Erich Reichling (die beiden Organisatoren) beschrieben uns fast die ganze Fahrt, welche Berge sich wo befinden, durch welche Tunnel wir fuhren und gaben exakt wieder, was sie sahen. Besonders beeindruckt war ich vom schneebedeckten Fernpass, denn tags zuvor schneite es durch einen Kälteeinbruch sogar fast runter bis nach Innsbruck. Meine Freundin Andrea und ich staunten nicht schlecht, als im Bus Schinken- und Käsesemmeln ausgeteilt wurden inklusive Getränken. Wo nahm das Team bloß am Feiertag "Christi Himmelfahrt" dieses Lunchpaket her?
Treffpunkt für alle Zusteigenden und zugleich auch Pause war um 14.00 Uhr in Reutte am Isserplatz. Da viele Teinehmer bereits an etlichen Blindenwanderungen waren, gabs ein großes Hallo. Ich war zum ersten Mal dabei und fühlte mich etwas einsam. Zugleich freute ich mich aber, ich war in meiner Heimat Tirol und hörte vertrauten Dialekt.
Weiter ging die Fahrt nach Häselgehr, wo wir ausstiegen und auch gleich losstapften, während der Bus unser Gepäck ins Quartier brachte.

Flotten Schrittes gings entlang des Lechufers und auf Nebenwegen über Unter- und Obergrießau nach Elbigenalp -Malefitz und Obergrünau. Da kam ich das erste Mal ins Schwitzen *lächel*, denn die fast 60 Teilnehmenden bestehend aus Blinden, Sehbehinderten und Begleitpersonen marschierten gar schnell bergauf und bergab. Ich sah die türkisfarbene und auch schäumend-tosende Lech, die teilweise so laut war, dass man sein eignes Wort kaum verstand. Der Fluss hatte Kraft, manchmal wars direkt kühl, dann wieder warm. Es roch nach feuchter Erde und Wasser, ich war beeindruckt. Ganz begeistert wurde das Lechungeheuer "Bluatschink" betrachtet und auch betastet, sah für mich aus wie ein tiefroter Krake mit zig Fangarmen und einem furchteinflößenden Gesicht.

Gegen 18 Uhr trafen wir in Bach ein, wo wir die Unterkunft im Hotel Post betraten. Andrea und ich teilten ein geräumiges Zimmer, in dem es wirklich an nichts fehlte:
Großes, gut ausgestattetes Bad.
Im Vorraum befanden sich ein großer Schrank sowie eine Gardarobe.
Im Zimmer ein breites Doppelbett mit angenehm festen Matratzen und einer Begrüßungsschokolade am Bett, worüber wir uns freuten.
Auch eine Couch, ein Tisch und ein Sessel standen drin, wie Fernseher, an mehr kann ich mich nicht mehr erinnern, wir waren ja kaum in der Unterkunft. Vom Balkon aus sah man die Berge, die blühenden Bäume, man hörte entfernt die Lech und die verschiedenen Glöckchen der Schafe, die in der Nähe ihre Weide hatten.
Zu duschen und danach am Balkon zu lauschen war entspannend.
Als wir nach unten gingen, zeigte uns Margit - eine Begleiterin - seitlich des Hauses eine Hollywoodschauekel, auf der wir plaudernd den Sonnenuntergang hinterm Berg abwarteten, ehe uns zu kühl wurde und wir ins Haus zurückgingen.
Um 20 Uhr war gemeinsames Abendessen im großen Speisesaal. Das Personal war sehr freundlich und blindengerecht. Sie wurden nicht müde, vielen etwas zu zeigen und Getränke an den Tisch zu bringen. Andrea und ich stürmten hungrig - wie die Anderen - erstmal die Salatbar, die sehr viel bot. Ich konnte zwar nicht Alles erkennen, es waren aber immer Sehende in der Nähe, die aufzählten, was sich in den Schüsseln, Schalen und Tellern befand.
Allabendlich konnten wir zwischen drei Menüs wählen plus Vor- und Nachspeise. Es gab davon reichlich, wir platzen fast und fielen müde, aber glücklich um ca 22 Uhr ins Bett. Kaum dämmerte es gegen 5.20, erwachte die Natur mit den bimmelnden Schafen, den Krähen und Vögeln, um Punkt 6 Uhr läutete die Kirchenglocke, dann schlief ich wieder ein, bis uns der Wecker um 6.45 zum Aufstehen mahnte.

Blick zu den verschneiten Bergen Blick zur Lech Gruppenfoto Andrea beim Bluatschink

• Freitag, 18. Mai 2012
Um 7.30 Uhr war Frühstück und anstelle der Salatbar waren verschiedene Wurst- Käse- und Specksorten aufgebaut. Es gab warmes Gebäck in allen Variationen, verschiedene Früchte wie Melonen und Ananas, Eier und Müsli, Butter, Nutella und Marmelade. Ausgewählt konnte zwischen Kaffee, Tee und Kakao werden. Ich erfreute mich an der Vielfalt und genoss ein herrliches Frühstück.

Um 9 Uhr brachte uns der Bus nach Lechleiten.
Anfangs wanderten wir durch eine breite Asphalt- und dann Forststraße. Das Wetter war angenehm zum wandern, nicht sonnig, aber auch nicht direkt bewölkt. Die Landschaft zeigte sich für mich in allen Farben und Formen. Teils ein Meer aus Löwenzähnen wo die Sonne hinschien, im Schatten Schneefelder. Andrea und ich konnten uns an der massiven Bergkulisse nicht sattsehen, Schnee und zwischendurch grün so weit das Auge reichte. Dann wurde aus dem vorerst breiten Forstweg plötzlich ein matschiger schmaler Pfad mit teils tiefen Lacken, links gings pfeilgerade nach unten, rechts steil bergauf. Ich musste bei jedem Schritt aufpassen, wohin ich stieg, was mich - weil der ungute Weg endlos schien - fast an den Rand der Verzweiflung brachte. Außer Andrea und mir weit und breit Niemand zu sehen, die anderen waren weit vorne und ich so langsam. Andrea ist selbst sehbehindert, aber sie nahm mich an der Hand, sprach mir Mut zu, auch als ich in eine tiefe, matschige Pfütze stieg, sodass mir der Dreck in die Schuhe rann und brachte mich zielsicher zum Sammelpunkt, wo alle aufeinander warteten. Andrea und mich verbindet nicht umsonst seit Jahren eine innige Freundschaft, in der jeder für den anderen da ist. Nicht nur ich war schmutzig geworden und genoss im Gasthof Stern in der Gemeinde Steeg ein herrliches Tiroler Gröstel.

Der Bus brachte uns anschließend auf 1530 Meter in den Ortsteil Grube. Schon auf der Fahrt wurde mir klar, das wurde eine Schneewanderung und ich bekam ein leicht mulmiges Gefühl. Würde ich nochmal so einen schwierigen Weg schaffen?
Diesmal waren aber viele Sehende zur Stelle wohl weil allen klar war, kein Sehbehinderter oder Blinder durfte einen falschen Schritt machen, denn rutschte man hier ab, konnte man rechts doch im teils tiefen Pulverschnee weit abstürzen. Ich schlitterte zwar wie die meisten anderen auch, aber ich stützte mich entweder mit einer Hand im Schnee ab oder hielt mich an Ästen von Bäumen fest, die uns die Begleiter entgegenhielten wie sie uns auch ihre Hände reichten.

Eines fand ich ein bisschen schade, die Gruppe ging relativ zügig, sodass man als Sehbehinderter kaum Fotos machen konnte. Zu gerne hätte ich ein Foto von mir im Tiefschnee gehabt, weil wo hat man schon so eine Gelegenheit inmitten von schneebedeckten Bergen und das Ende Mai?
Andrea und ich versuchten zwar, so oft als möglich, zu knipsen, aber meist blieben wir dann weit zurück, da jeder von uns erst im Sucher bzw. Display das Motiv ins Blickfeld bekommen musste. Was die Sehenden in wenigen Sekunden in die Kamera kriegen, dazu brauchen Andrea und ich eben doch länger. Nach gut zwei Stunden machten wir die erste Pause. Die Organisation war perfekt, denn vorm erneuten Marschieren ertönte ein Pfeifton von Werner oder Jemand piff durch die Finger und wir hörten "Abmarsch"! Auch wurde immer wieder an bestimmten Stellen gewartet, bis wieder alle beisammen waren. Wer es nicht mehr schaffte zu gehen, der wurde mit dem Bus abgeholt oder konnte sich für eine kurze und bequeme Strecke entscheiden. Das ließ dann doch mein Ehrgeiz nicht zu und ich ging - wie Andrea und viele andere auch - alle Strecken in voller Länge durch. Nach einem wirklich ereignisreichen Tag mit - für mich teils schwierigen Passagen - brachte uns der Bus zurück zum Hotel, wo wir erneut gegen 18 Uhr eintrafen.
Wie herrlich war es, aus den Wanderschuhen raus zu kommen, die Andrea und ich vor dem Zimmer auszogen und auf den Balkon stellten, wo wir sie abklopften, denn der Schmutz war inzwischen eingetrocknet. Danach genossen wir eine herrliche Dusche und erneut ein ausgiebiges Abendessen, ehe wir um 22 Uhr erschöpft ins Bett fielen und auf der Stelle einschliefen.

Ich mit einem Schneeball in der Hand Eine sehende Begleitung geht vor mir Begleiter Gerd, Andrea und ich Als Tirolerin genieße ich

• Samstag, 19. Mai 2012
Nach dem Frühstück gingen wir gut erholt und gestärkt zuerst der Lech entlang. Danach kam ein Asphaltweg umsäumt von einem Meer aus Löwenzähnen. Auch sah man rechts in der Ferne bereits die Holzgauer Hängebrücke mit ihren gut 200 Metern Länge und 105 Metern Höhe. Andrea und ich konnten nicht umhin, viele Fotos zu machen was wiederum zur Folge hatte, dass wir eine der Letzten waren, die nach ca 3 Stunden im Gasthof Post ankamen. Auch wenn an diesem Tag die Sonne von einem strahlend blauen Himmel schien und uns beim Wandern heiß war, so froren wir im Schatten sitzend und erfreuten uns einer heißen Gerstensuppe.

Nach einem kurzen Anstieg erreichten wir die Holzgauer Hängebrücke, auf die ich mich sehr freute, anderen flößte sie Respekt und auch Furcht ein. Ich konnte durch das Metallgitter am Boden in die tiefe Schlucht blicken, der Anblick war faszinierend. Auch schwankte die Brücke seitlich und nach unten, sie hing ja nur, je nachdem, wieviele Menschen sich darauf befanden, was mir taugte. Man sah nach rechts weit hinab ins Tal, nach links hinauf in die Berge. Ich war so begeistert, dass ich mich weder links noch rechts anhielt.

Bis zur Kapelle in Seesumpf war es ein steiler Anstieg und hinauf aufs Wiesenplateau führten zahlreiche Stufen. Dort fand eine Gedenkstunde für Reinhold Wolf statt. Fackeln waren aufgestellt, jeder bekam ein Räucherstäbchen, sofern er/sie das wollte, dies wurde angezündet und in eine sandbefüllte Schale gesteckt, inmitten sich das Foto des Verstorbenen befand. Während der "Messe", den Worten von Angehörigen und langjährigen Weggefährten war es so still, dass man den Wind durch die Bäume rauschen hörte. Da ich das erste Mal bei der Lions-Blindenwanderung dabei war, kannte ich Reinhold nicht, war aber trotzdem ergriffen von der wirklich unter die Haut gehenden Stunde.

Inzwischen war es wolkig und kühl geworden, wir befürchteten schon, in den Regen zu kommen, hatten aber Glück. Steil bergab ging es wurzelig und steinig auf schmalen Wegen, rechts der Abgrund links Felsen, zu unserem Hotel.

Nach dem Abendessen fand eine Diashow mit Bildern von fast allen vergangenen Wanderungen mit Reinhold statt. Wir Sehbehinderten und Blinden hatten kaum was davon, mich berührte aber, wie begeistert viele sehende Begleiter waren, die sich an das Jahr und sogar die Namen der Teilnehmer erinnern konnten. Müde und vom Tag bewegt gingen Andrea und ich erneut gegen 22 Uhr ins Bett. Ich konnte diesmal aber länger nicht einschlafen, ließ in Gedanken die Wanderung Revue passieren.

Andrea und ich in einem Meer aus Löhwenzähnen Ich auf der Hängebrücke Gedenkgottesdienst für Reinhold Wolf

• Sonntag, 20. Mai 2012
Der Bus fuhr um 9 Uhr über Reutte zurück nach Innsbruck, wo wir binnen 10 Minuten zum Bahnsteig 4 sausten, so gut es ging, und den ICE um 11.06 nach Wien erreichten. Während im Railjet von Wien nach Innsbruck doch noch einiges an Platz war, mussten wir im ICE doch länger suchen, bis wir drei in einem Abteil unterkamen.

Für nur 200 Euro wurden wir hervorragend versorgt, das fand ich äußerst günstig. Ich hatte oft direkt ein schlechtes Gewissen wenn es hieß, dies und jenes zahlt der Lions-Club Reutte. Ich konnte mir die Namen der zahlreichen helfenden Hände und wirklich netten Leute unmöglich alle merken, jedoch die Organisation war 1a. Allen dafür vielen, vielen Dank! Ebenfalls Lob hat sich das Personal vom Hotel Post in Bach im Lechtal verdient. Sie waren äußerst freundlich und hatten ihre Augen überall, um uns zu helfen oder ausgezeichnet zu bewirten. Die Zimmer sind sauber, alles vorhanden was man braucht, ebenfalls 1a.

Sollte wieder eine Lions-Wanderung stattfinden, ich bin dabei, diesmal aber wohl mit Wanderschuhen, die bis über die Knöchel reichen *lächel*.


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Letztes Update 28. Mai 2012
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