Mein Training im Fitnesscenter

Vor 11 Jahren begleitete ich eine blinde Freundin zum Lauftraining auf den Sportplatz. Sie lief mit einem Begleitläufer Runde und Runde auf der Bahn. Beide waren mittels Band, das sie an den Händen hielten, miteinander verbunden. Weil mir dieser Bewegungsablauf taugte, wollte ich das gleich an Ort und Stelle versuchen, musste aber bereits nach einer Minute feststellen, dass mir die Puste ausging. Von da an fesselte mich dieser Ausdauersport. Erst ging ich diverse Strecken mehrmals ab, damit ich sie in- und auswendig kannte, denn ich kann nur dort laufen, wo ich jedes Hindernis und jede Bodenunebenheit kenne. Aufgrund meiner Sehbehinderung kann ich nicht einfach irgendwo loslaufen, wie es zum Beispiel Sehende tun.

Nach fast jeder Laufeinheit betrachtete ich meinen Körper im Spiegel. Zu Hause ist es kein Problem, ich kann nahe genug davor stehen und habe ausreichend Licht. Eitelkeit und Ehrgeiz erfassten mich. Ich wollte einerseits etwas Sinnvolles mit meiner Freizeit anfangen und andererseits schlank, beweglich, fit und gesund bleiben. Welche Frau träumt nicht von einer schönen Figur und einem attraktiven Äußeren – Ausnahmen ausgenommen? Das Älterwerden lässt sich zwar trotzdem nicht aufhalten, man fühlt sich aber jünger und vitaler, tut man etwas für Körper und Geist. So beschloss ich, in ein Fitnesscenter zu gehen.

Ein angestellter Trainer fragte mich, was ich erreichen möchte, zeigte mir nach einem kurzen Gespräch im Schnelldurchlauf das Studio, stellte mir mittels Handschrift einen Trainingsplan zusammen, meinte ich könne ihn jederzeit fragen und weg war er. Noch am selben Tag schrieb ich mir den Plan, für mich leserlich, um.
Die darauffolgenden Wochen alleine zu trainieren hatte ich mit meinem Sehrest ziemliche Probleme, auch wenn mir verschiedene Trainer ab und an halfen oder was zeigten.
Das Fitnesscenter ist auf einer Ebene, dadurch sehr weitläufig und hat viele Fenster und Spiegel. Wirkt zwar offen und einladend, mich blendeten aber die vielen Scheiben und die Spiegelwände irritierten, weil ich durch sie nicht einschätzen konnte, wo fing der Raum an, wo hörte er auf.

Bis ich mir merken konnte, wo welches Gerät stand und wieviel Schritte es bis dort- oder dahin waren, vergingen zahlreiche Stunden und passierten auch kleine Verletzungen und Pannen. Ich ging zwar eh langsam, trotzdem stieß ich mit dem Gesicht gegen Querstangen, stolperte über die Beine von Hantelbänken oder am Boden liegenden Scheiben und zwickte mir die Finger an den Karabinerhaken ein.

Mir halfen neben dem Restsehen auch die anderen Sinne. Ich spürte an der Bodenbeschaffenheit, wo ich war, denn jeder Bereich hat kleine Auffälligkeiten wie zB Rillen, Nähte im Boden oder kleinere Unebenheiten. Die Akustik informierte mich, wenn die Musik nicht zu laut war, wo im Raum ich mich befand. Ich hörte am Atmen oder auch Reden der Trainierenden, an welchem Gerät sich Jemand befand und spürte es auch an der Körperwärme. Grad im Sport schwitzen die Leute vermehrt oder atmen lauter, hilfreich für mich. Ich bin zwar Kämpfertyp, musste aber erkennen, dass ich dort alleine zu große Probleme hatte.

Als gäbe es Zufälle, kam ein Trainer ins Studio, der neue Mitglieder trainierte. Ich zögerte ein paar Wochen, dann fasste ich den Entschluss und Mut, ihn anzusprechen. Er erklärte sich gegen Bezahlung bereit, auch mir zur Seite zu stehen. Anfangs waren wir etwas befangen und reserviert, er hatte noch nie mit einer "Blinden" zu tun gehabt, denn für viele Sehende sah man entweder „normal“ oder gar nichts. Den Begriff Sehbehinderung kennen viele nicht und können nicht einschätzen, was sieht man nun und was nicht. Im Laufe einiger Monate wurden wir allmählich ein Team. Er reichte mir die Hanteln, verstellte die Gewichte, erklärte mir Geräte und korrigierte mich. Andere sehen sich in den vielen Spiegeln und können so ihre Haltung und Ausführung verfolgen. Ich konnte mich darin nicht erkennen, denn wegen der vielen Geräte etc. konnte ich nicht nahe genug heran.

Wie ich mich orientierte und bewegte, faszinierte Trainer Peter, so kamen wir auch privat ins Gespräch und wurden schließlich Freunde. Weil er mir viele Übungen zeigte, entwickelte es sich, dass er mittrainierte und auf die Bezahlung verzichtete.

Nach einem halben Jahr kam eine "Neue", die Peters Hilfe benötigte, bald zu meiner Freundin und wir zu einem Trio wurden. Mittlerweile sind wir ein trainierendes Quartett, das viermal die Woche gemeinsam trainiert und sehr gut harmoniert.

Peter und ich Peter und ich Peter und ich Quartett

Inzwischen kann ich die Anzahl der Kilos von Scheiben oder Kurzhanteln durchs Angreifen einschätzen. Ich zähle mit den Fingern die Löcher ab damit ich weiß, bei welcher Platte ich den Splint fürs Gewicht reinstecken muss. Ich kenne die Schritte bis zum Beispiel ans Laufband oder weiß, ich gehe bis zum zweiten Fenster. Ich bin nun seit einigen Jahren in diesem Fitnesscenter und kenne jeden Winkel. Trainer Peter ist auch privat ein richtiger Freund geworden, was uns beide freut. Ich genieße jede Stunde dort und hoffe, es möge noch sehr lange so bleiben.


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Letztes Update 28. Jänner 2012
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