An die Reise mit meinem Sportbetreuer Otmar Fellner kann ich mich noch sehr gut erinnern. Es ging für mich im August 1999 das erste Mal mit dem Flugzeug ins Ausland. Ich kenne Otmar zwar etliche Jahre vom gemeinsamen Training, doch im privaten täglichen Umgang waren wir uns eher fremd. Weil ich sehbehindert bin, ist es für mich wichtig, in fremder Umgebung eine vertraute Person an meiner Seite zu haben, auf die ich mich verlassen kann. Könnte ich normal sehen, würde ich mir um meine Selbständigkeit an einem unbekannten Ort wohl keine besonderen Sorgen machen. So bin ich doch öfter auf Hilfe angewiesen, denn obwohl ich seit jeher versuche, so gut wie möglich eigenständig zu sein, stoße ich trotzdem an meine Grenzen.
Den Flughafen hatte ich mir niemals so groß und unübersichtlich
vorgestellt. Leuchtanzeigen wohin ich sah, doch ich konnte sie nicht
lesen. Menschenmassen so weit mein Auge reichte, aber ich konnte nicht
ausweichen. Stimmengewirr, Lautsprecherdurchsagen, es hallte für meine
Ohren fürchterlich. Ich konnte kein Wort verstehen und hätte alleine sicher die Orientierung verloren. Otmar las, aus für mich großer Entfernung, wohin wir gehörten. Ich hängte mich sicherheitshalber bei ihm ein, um ihn im Gewühl nicht zu verlieren.
Das Flugzeug hingegen kam mir sehr niedrig vor, ich duckte mich instinktiv,
Otmar lachte:
"Brauchst Du nicht, das geht sich aus."
Tja, Entfernungen konnte ich noch nie so richtig abschätzen.
Als wir abhoben, kam mir die Erde binnen Sekunden so winzig vor und so weit weg. Otmar las Zeitung und ließ sich seinen Kaffe gut schmecken, dazu war ich viel zu aufgeregt. Der Himmel hatte über den Wolken ein viel intensiveres und reineres blau, auch die Sonne schien klarer und gleißender.
Als wir in Lyon/Frankreich landeten, wurden wir vom
französischen IBSA-Vorsitzenden Michael Romanet abgeholt und zu
unserem Ziel Chalon-sur-Saone gebracht. Dort fand die 1. Europameisterschaft
für blinde und sehbehinderte Sportschützen statt. Die Autofahrt
verlief schweigend, da Herr Romanet weder englisch noch deutsch konnte, wir
nicht französisch. Die Gegend war flach, und auf den Autobahnen war
an vielen Stellen Maut zu bezahlen. Weil wir zeitweise an den Geleisen
entlang fuhren, sah ich auch den berühmten TGV vorbeiflitzen.
Am Ziel
unserer Reise angelangt, inspizierten wir nach einer Ruhepause den
Schießstand und wir Sehgeschädigten konnten alles angreifen.
So gewann jeder seinen eigenen Überblick über den sehr großen Raum. Das war besonders für die eigene Orientierung wichtig, denn man bekam ein Gefühl dafür, in welche Richtung der Oberkörper bei Bewerben zu zeigen hatte, welche Umdrehungen man machen musste, wollte man hinaus ins Freie und ebenso, wie man zu den Toiletten kam. Die Auffindung solcher Örtlichkeiten ist für mich stets ein Problem, denn ich sehe nicht, ob Mann oder Frau auf den Türen abgebildet ist. Schon alleine das Auffinden des Weges dorthin ist nicht einfach. Ging einmal Jemand mit mir die Räumlichkeiten ab, prägte ich mir den Weg inklusive Kurven und Stufen (falls vorhanden) automatisch ein, damit ich unabhängiger war und auch alleine fand, wohin ich wollte.
Otmar war brav an meiner Seite und zeigte mir Alles. Mein schlechtes Sehen hatte er in den 8 Jahren unseres Kennens schon sehr gut abschätzen gelernt. So konnte ich ihn jederzeit fragen, wenn ich ihn brauchte und er war einfach da. Er half mir beim Buffet, indem er mir wie selbstverständlich aufzählte, was auf den einzelnen Platten angerichtet war. Es gab hier hauptsächlich viele verschiedene Pasteten und Salate. Ich sagte ihm, was ich gerne hätte und er belegte meinen Teller damit. Auch drückte er mir ein Sandwich samt Serviette in die Hand und führte mich zu meinem Platz. Er schenkte mir stets nach und erzählte automatisch, welche internationalen Schützen mit ihrem Betreuer an den anderen Tischen saßen. Es schien ihm richtig Freude zu machen mehr zu reden, als er es üblicherweise tat, wenn jeder sehen konnte. Auf diese Weise kommunizieren die Menschen offenbar mehr miteinander, was ihnen gefällt und sie kommen dadurch selbst untereinander ins Gespräch. Das Schweigen unter fremden Menschen verunsichert noch mehr, glaube ich zumindest. Mir gefiel, dass er erzählte, denn so brauchte ich selbst nicht so viel zu schauen. Ich hatte akustisch toll beschriebene Bilder, die ich mit meinem Sehrest ergänzte.
Otmar bekam im Quartier das Zimmer neben mir, was mich beruhigte. So konnte ich jeder Zeit zu ihm gehen, falls ich im Dunkeln nicht mehr wusste, wo es zu WC und Duschen ging, zumal sich diese Räume einen Stock tiefer befanden. Otmar war zwar zuvor mit mir die Flure abgegangen, doch waren zu viele Treppen oder ging es zu oft um Ecken, war es gar nicht so einfach, sich richtig zu orientieren.
Vor Aufregung und wegen der Fremde konnten wir beide nicht besonders gut schlafen. So spazierten wir vor dem Frühstück im Park und beäugten die Unterkunft bei Tageslicht, denn wir hatten sie gegen Mitternacht bezogen. Erst jetzt sahen wir das alte Schloss, Otmar beschrieb es als eine Burgruine. Deshalb also die knarrenden Treppen, die durchhängenden Betten und die Sammelwaschbecken und –duschen. Die Spanier übersiedelten noch vor Bezug in ein Hotel. Otmar und mich brachte der Anblick dieses leicht verfallenen Gebäudes höchsten zum schmunzeln. Die drei Nächte ohne Komfort würden wir schon überleben.
Die Sportveranstaltung war sehr gut organisiert, die Dolmetscherin konnte wirklich gut beschreiben und stimmungsvoll übersetzen. Am Nachmittag bummelten wir durch Chalon und weil auch blinde Schützen mitgingen, erlebten wir die Stadt in Wort und Bild.
Obwohl ich, dank meines Sehrestes, noch optische Eindrücke wahrnehmen kann, ist es für mich trotzdem eine Bereicherung, wenn ich beschrieben bekomme, was sich rundherum abspielt. Ich kann zwar noch selbständig auf den Straßen gehen, weniger konzentriert aufpassen brauche ich jedoch, wenn ich mich bei meiner Begleitperson einhängen kann.
Chalon ist eine kleine Stadt, sie erinnerte mich irgendwie an Bozen. Überall Kopfsteinpflaster, Springbrunnen und ältere Häuser. In der Altstadt war ein Flohmarkt. Es war irgendwie eigenartig, zwar alles anschauen bzw. angreifen, aber nicht mit den Händlern sprechen zu können, denn alle sprachen logischerweise französisch
Nach jedem Wettkampf fand ein Finale statt. Mir imponierte sehr, wie der französische Sprecher die Kommandos in Englisch aussprach. Er klang so bemüht, mit so viel Engagement und Herzlichkeit. Durch vergangenes, intensives Training und Otmar an meiner Seite schaffte ich zweimal Gold und einmal Silber.
Liegend 60 Schuss
1. Manent Francoise, FRA, 554, Finale 79,7, insgesamt 633,7 Ringe
2. Karnutsch Nothburga, AUT, 527, Finale 87,9, insgesamt 614,9 Ringe
3. Hiniesto Martha, ESP, 479, Finale 71,1, insgesamt 550,1 Ringe
3 Stellungs-Match (liegend, sitzend, stehend) 3 x 20 Schuss
1. Karnutsch Nothburga, AUT, 505, Finale 96,3, insgesamt 601,3 Rnge
2. Manent Francoise, FRA, 505, Finale 82,9, insgesamt 587,9 Ringe
3. Hiniesto Martha, ESP, 425, Finale 80,4, insgesamt 505,4 Ringe
Stehend (frei) 40 Schuss
1. Karnutsch Nothburga, AUT, 354, Finale 95,2, insgesamt 449,2 Ringe
2. Manent Francoise, FRA, 340, Finale 81,0, insgesamt 421,0 Ringe
3. Hiniesto Martha, ESP, 305, Finale 64,0, insgesamt 369,0 Ringe
Diese Reise war sehr beeindruckend für mich, ich hatte durchwegs positive Erfahrungen mit den Franzosen gemacht. Auch wenn wir uns nur mühsam verständigen konnten, so wurden wir zuvorkommend und gleichwertig behandelt. Manche Menschen haben Schwierigkeiten mit Behinderten umzugehen, Vorurteile und Hemmungen sind nur einige Barrieren. Davon konnte ich in Frankreich nichts bemerken, das machte dieses Erlebnis mit zusätzlich tollen Erfolgen zu etwas Besonderem.
Zurück zum Sportschießen
Startseite
Letztes Update am 15. Juni 2001
© Copyright by Nothburga Karnutsch, Wien